Die Rotbuche (Fagus silvatica) | Baum des Jahres 2022

Die Gattung „Fagus“, Buche, kennt zehn Arten, die ausschließlich auf der Nordhalbkugel unserer Erde verbreitet sind. Davon finden wir sieben in Ostasien, eine in Nordamerika und zwei in Europa.
In Europa sind die Rotbuche und die Blutbuche beheimatet. Häufig wird die Blutbuche mit ihrem dunkelroten Laub für die Rotbuche gehalten. Tatsächlich bezieht sich der Name Rotbuche auf das, im Gegensatz zum Holz der Hainbuche oder der Esche, leicht rötlich schimmernde Holz, ein Merkmal, das bei der Betrachtung des Baumes natürlich nicht zu erkennen ist. Fagus silvatica (Silva = Wald) ist die wichtigste Laubbaumart Mitteleuropas. Sie wird 30 bis 45 Meter hoch und erreicht ein Alter von 150 bis (selten) 350 Jahren. In der Bundesrepublik ist sie mit ca. 15 %, in ihrem Hauptverbreitungszentrum Hessen mit über ca. 30 % und in Nordhessen sogar mit bis zu 60 % am Wald beteiligt. 2007 wurden durch die UNESCO in den ukrainischen und slowakischen Karpaten, wo es stellenweise noch echte Buchenurwälder gibt, die ersten Buchen-Weltnaturerbe-Flächen ausgewiesen, um die Bedeutung der das menschliche Leben jahrtausendelang prägenden Buchenwälder hervorzuheben. Fünf deutsche Buchenwaldgebiete (die Nationalparke Hainich, Kellerwald-Edersee, Jasmund und Müritz sowie das UNESCO-Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin) sind seit 2011 anerkanntes Weltnaturerbe der UNESCO. Das heißt, dass sie von außerordentlicher Bedeutung für die Menschheit sind und deshalb als Bestandteil des Welterbes erhalten werden müssen.

Ein bekannter Forstwissenschaftler äußert sich folgendermaßen: „Nicht selten wird die Buche als erfolgreichste Pflanzenart Deutschlands und Mitteleuropas bezeichnet. Dieses Prädikat verdankt sie ihrer Dominanz gegenüber anderen Mitbewerbern. Sie hat sich während der nacheiszeitlichen Rückwanderung erfolgreich an unterschiedliche Boden- und Klimaverhältnisse angepasst.“
„Mutter des Waldes“ wird die Buche auch genannt, denn ihr nährstoffreiches Laub verrottet zu wertvollem, lockerem Waldboden. Voraussetzung für ihr gutes Gedeihen ist atlantisch geprägtes Klima mit relativ hoher Luftfeuchtigkeit, mindestens 500 mm bis 700 mm Niederschlag im Jahr und Temperaturen von mehr als 5° C im Jahresmittel. Sowohl auf kalkhaltigem wie auch leicht sauerem Boden wächst sie problemlos, meidet aber staunasse Böden und Standorte mit wechselndem Grundwasserspiegel. Tatsächlich ist diese für Mitteleuropa so prägende Laubbaumart durch den Klimawandel stark bedroht, denn es fehlen gerade in der Mitte Deutschlands nicht nur der nötige Niederschlag und die hohe Luftfeuchtigkeit, die Buche leidet auch unter den konstant zu hohen Temperaturen. Die Buche zählt zu den Schattenbaumarten. Der Nachwuchs, also die Naturverjüngung, kommt mit sehr wenig Licht aus. Das dichte Kronendach der Altbuchen lässt das Tageslicht nur zu einem geringen Teil auf den Waldboden durchdringen. Die Keimlinge und Jungpflanzen begnügen sich im Extremfall sogar mit einem Sechzigstel des vollen Tageslichtes.

In reinen Buchenwäldern findet man am Boden nur im zeitigen Frühjahr krautige Pflanzen wie Anemonen, Lungenkraut, Lärchensporn und andere Frühjahrsblüher, denn wenn die Buchen ausschlagen, wird es am Boden schnell zu dunkel. Zuerst schlagen die jüngsten Buchen aus, dann die mittelgoßen und ganz zum Schluss die großen alten Exemplare. Auf diese Weise bekommen auch die Jüngsten noch genug Licht zum Wachsen. Die Buche ist in unseren Breiten die einzige Baumart, die auch noch im hohen Alter einen ganz glatten Stamm und keine borkige Rinde hat. Bei den meisten Baumarten sterben die äußeren Rindenschichten ab, platzen auf und darunter bildet sich eine neue Rindenschicht, die dem Dickenwachstum des Baumes jeweils angepasst ist. Die Buche ist die einzige Baumart, bei der die Rinde entsprechend mitwächst.

Diese glatte Rinde und das reichliche Laub sorgen dafür, dass die Buche sehr viel Regenwasser auffangen und am Stamm entlanggleitend dem Boden zuführen kann. Damit ist sie ganz wesentlich an der Wasserspeicherqualität des Waldes beteiligt. Das Holz der Buche wurde jahrhundertelang überwiegend als Brennmaterial, aber auch zur Herstellung von Haushaltsartikeln genutzt. Zum Haus- oder Schiffsbau eignet es sich nicht, weil es nicht fäulnisresistent ist. Lange Zeit stellte man Holzkohle aus Buchenholz her, in Glas- und Eisenhütten war sie wegen ihres hohen Heizwertes sehr begehrt. Diese Nutzungsform führte im Laufe der Jahrhunderte sogar zu einer einschneidenden Holzverknappung und Waldverwüstung. Bis zur Entdeckung der Steinkohle waren Europas Wälder schon weitestgehend verschwunden. Die dichten dunklen Wälder der Brüder Grimm gehörten in der Zeit, als sie ihre Märchen aufschrieben, schon längst der Vergangenheit an. Die Einführung der Nachhaltigkeit durch Carl von Carlowitz in der forstlichen Behandlung der Wälder – vor über dreihundert Jahren – leitete eine entscheidende Wende ein. Wenn man beispielsweise errechnet, dass ein Hektar Wald im Jahr ca. 7 m³ Holz produziert, darf man alle fünf Jahre 35 m³ entnehmen.

Carl von Linné wählte für die Buche den Namen Fagus (griechisch – phagein = essen), weil das Laub dieses Baumes jahrhundertelang auf dem Speiseplan von Mensch und Tier stand. Die jungen Blätter der Buche schmecken schwach süßlich, man nannte sie Esslaub. Früher wurden Muß und Sauerkraut daraus hergestellt. Grün oder getrocknet diente es bis ins späte 19. Jahrhundert häufig als Viehfutter oder Einstreu.

Viele Orts- und Landschaftsbezeichnungen sind auf die Buche zurückzuführen. 1567 Ortsnamen im deutschsprachigen Raum lassen sich von dem Begriff „Buche“ ableiten. Auch Familiennamen wie Büchner oder Heesters (Heester = Heister = altfränkisch junge Buche) haben ihren Ursprung im Namen dieser Baumart.

Die Vermutung der Brüder Grimm, dass sich die Begriffe „Buchstabe“ und „Buch“ davon ableiten, dass die Germanen Runen als Orakel in Buchenholzstäbe einritzten, wird heute von der Wissenschaft nicht mehr gestützt. Gutenbergs Lettern sollen immerhin aus Buchenholz geschnitten worden sein.
Um die Zukunft der Buche in Mitteleuropa ist es nicht gut bestellt. Die Folgen des Klimawandels lassen sich für den geschulten Betrachter an verschiedenen Merkmalen feststellen:

  1. Die Bäume tragen alljährlich unverhältnismäßig viele Früchte (früher nur alle 5 – 7 Jahre).
  2. Sie bilden wegen der großen Kraftanstrengung kleineres Laub.
  3. Besonders im obersten Kronenbereich wird weniger oder gar kein Laub mehr gebildet, weil der Wasserdruck im Kapilarsystem nicht mehr weit genug reicht.

Die allermeisten Buchen sterben in Waldrandlagen ab. Wenn ihre Stämme mit der dünnen glatten Rinde sich zu stark erhitzen, bekommen sie einen Sonnenbrand, die Rinde reißt auf, es können Parasiten eindringen und den Baum schädigen. Im schlimmsten Fall beginnt der Baumsaft unter der Rinde praktisch zu kochen.

Im ersten Halbjahr 2022 betrug die durchschnittliche Regenmenge in Nordhessen rund 300 mm bei einem auf mehr als 2,50 m tief abgesunkenen Grundwasserspiegel. Dennoch müssen wir zuversichtlich sein, dass die Buche nicht ganz aus unseren Wäldern verschwinden wird, denn sie besitzt ein hohes genetisches Anpassungspotenzial. Hoffen wir also, dass sie genügend Zeit bekommt, diese Fähigkeit auch rechtzeitig zu nutzen.

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