„Ein schauerliches Halbdunkel“die Plutogrotte

Plutogrotte, Teufelsbrücke und Höllenteich in der Hauptachse des Bergparks dürfte jedem Besucher bekannt sein, jedoch vielleicht nicht der einstmals ganz besondere Stellenwert der Plutogrotte unter den
Parkarchitekturen. Sie war einige Zeit neben Herkulesbauwerk und Kaskaden die bekannteste und
meistbesuchte Attraktion im Park und wurde deshalb in den Publikationen über Weißenstein bzw.
Wilhelmshöhe auch stets ausführlich beschrieben . Ihre Wirkung war ursprünglich völlig anders als
heute, wo gewissermaßen nur noch der Rohbau zu sehen ist. In der Zeit vor 1800 fand sich hier eine
eindrucksvolle Fülle von Skulpturen, mit denen die Unterwelt, das Reich des Pluto, nach der
Vorstellung der antiken Mythologie zur Darstellung gebracht wurde. Die hier versammelte
Höllengesellschaft versetzte die Besucher in Staunen und Schaudern und hinterließ, wie 1799 vermerkt,
bei den Besuchern regelmäßig „einen tiefen Eindruck“.

J. G. Kobold, Die Teufelsbrücke. Seitlich der Plutogrotte werden in den Nischen ein Meeresungeheuer sowie Orpheus und
Eurydike wiedergegeben. Die Bögen der Grotte sind ohne die Glastüren dargestellt. Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung. Foto: Ute Brunzel

Die so beeindruckende Anlage wurde von Landgraf Friedrich II. in Auftrag gegeben und sehr
wahrscheinlich vom Hofarchitekten Simon Louis Du Ry ausgeführt. In der Regel wird davon ausgegangen, dass mit dieser neuen Grotte eine baufällige ältere, bereits von Landgraf Moritz 1615
errichtete, ersetzt wurde. Der Neubau war eine der ersten der in den 1760er Jahren einsetzenden
umfangreichen Aktivitäten Friedrichs im Berpark, mit denen er, nach langer Unterbrechung, das Werk
seines Großvaters, des Landgrafen Karl, weiterführen wollte, wenn auch in anderer Form.

Die ovale Grotte mit fünf großen Öffnungen und die seitlich anschließenden Mauern erhielten das
Aussehen von natürlichem Fels, um so den Eindruck eines in den Berg gehauenen Eingangs in di e
Unterwelt zu erwecken. Bereits in den äußeren Nischen waren zwei Darstellungen mit lebensgroßen
Gipsfiguren auf Schicksale, die mit der Unterwelt verknüpft waren, bezogen. Die eine zeigte Herkules,
der die freiwillig für ihren Gemahl ins Schattenreich gegangene Alkestis gegen den heftigen
Widerstand wütender Furien zurück ins Leben führte, die andere das von Amor beweinte Scheitern
eines solchen Versuchs bei Orpheus und Eurydike. Hier durchschnitten die ebenfalls dargestellten drei
Parzen den Lebensfaden unerbittlich.

Die Plutogrotte. Foto: Bettina von Andrian

Das Innere der halbdunklen Grotte wurde durch rot und gelb bemalte Scheiben der verglasten Türen in
ein Licht getaucht, das den Raum wie „in lichten Flammen“ erscheinen ließ und die Besucher sogleich
in Schrecken und Schauder versetzte. In d er Mitte dieser Hölle saßen der Herrscher des Totenreichs
und seine Gemahlin, Pluto und Proserpina, auf ihrem Krötenthron, daneben die Totenrichter Rhadamanthus, Minos und Aecus. Die Schrecken und Qualen der für ihre Schandtaten in der Welt
verurteilten Mi ssetäter verkörperten Tantalus, ewig dürstend im Wasser stehend und ewig hungrig
vergeblich nach den sich immer wieder entziehenden Früchten greifend oder Sisyphus, rastlos bemüht,
den wieder und wieder herabrollenden riesigen Stein bergan zu schieben. Neb en diesen heute noch
halbwegs bekannten Sündern waren der mit Schlangen auf ein endlos sich drehendes Rad gefesselte
Ixion zu sehen, außerdem die unablässig und vergeblich ein durchlöchertes Fass füllenden Danaiden
sowie Tityus, dem ein Geier tagsüber die über Nacht nachgewachsene Leber zerfrisst. Die heute recht
bizarr anmutende Szenerie vervollkommnete erneut Herkules, der drohend seine Keule gegen den
Höllenhund Zerberus schwang.

Wandte sich der Besucher wieder dem Ausgang zu, erwartete ihn ein neuer Schrecken, da die getönten Scheiben der Türen bewirkten, dass „imposant grauenhaft Himmel und Erde, Bäume und Sträucher und
Felsen, Alles in Feuer und Flammen zu stehen schien“.
Die „Hölle“, wie die Grotte meist bezeichnet wurde, bestand in der geschilderten Gestalt nur gut 30 Jahre, bereits 1804 wird vermeldet, dass die Gipsfiguren „der vernichtenden Feuchtigkeit diese Ortes nicht widerstehen konnten“ und abgeräumt werden mussten. Die Beseitigung der schadhaften Höllenbewohner wurde dann später König Jérôme unterstellt, um damit dessen angebliche Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit auch im Bereich der Kunst zu belegen. Die Glastüren schließlich fielen 1872 einem beachtlichen Akt des Vandalismus zum Opfer, als eine „offenbar geistesgestörte Französin sämmtliche Fenster und Thüren in der sog. Hölle […] sammt Sprossen und Rahmen gänzlich
zertrümmerte“.

Noch lange trauerte man dem Verlust der Skulpturen nach, und um 1900 gab es die Hoffnung, dass die Grotte „wieder ihr altes phantastisches Aussehen“ bekommen würde, zumal der Bildhauer Heinrich
Brandt bereits ein Modell dafür angefertigt hatte. Das Vorhaben kam jedoch nicht zustande, so dass bis
heute nur noch die beiden Meeresungeheuer in den seitlichen Nischen entfernt an das einstige Reich
des Pluto erinnern . Die beiden von Johann August Nahl für die Kaskade in Wilhelmsthal geschaffenen
künstlerisch herausragenden Skulpturen gehörten ursprünglich nicht zum Figurenprogramm der
Plutogrotte. Sie wurden erst 1794 nach Abschluss der Umgestaltungen des Bereichs durch Anlage des
Höllenteichs und Bau der Teufelsbrücke hier aufgestellt und dabei mit handwerklich sehr qualitätvollen
Gittern gesichert.

Angesichts heutiger technischer Möglichkeiten liegt natürlich schnell der Gedanke nahe, die
Höllengesellschaft in ganz anderer Form durch virtuelle Vergegenwärtigung wieder auferstehen zu
lassen und sie so dem düsteren Reich der Schatten zu entreißen.
(Text: Gerd Fenner)

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