Die Moschee im Bergpark

„Der Türke erblickt hier seine schöngebaute Moschee, und der Chineser seine Pagode und sein Dorf“ vermerkte 1785 der in seiner Zeit hochgeschätzte und einflussreiche Gartentheoretiker Christian Cay Lorenz Hirschfeld in seiner Beschreibung des Parks von Weißenstein (Wilhelmshöhe) im fünften Band seiner „Theorie der Gartenkunst“. Die Moschee entstand um 1780 zeitlich noch vor dem Chinesischen Dorf und erhielt auf einem kleinen Plateau über dem Lac und gegenüber dem Schloss einen wirkungsvollen Standort.

Die Moschee in Kew Gardens von William Chambers, 1763

Der Bau bestand aus einem achteckigen Mittelbau mit drei großen Portalen, einem kreisförmigem Oberteil mit rundbogigen Fenstern und einer Kuppel. Seitlich waren zwei kleinere rechteckige Räume angefügt, die ebenfalls überkuppelt waren. Die Spitzen der zwei freistehenden schlanken Minarette wie auch der Knauf der Mittelkuppel waren mit Halbmonden bekrönt (oder zeitweilig auch mit Fähnchen). Der kleine Bau hatte eine Frontlänge von etwa 11 Metern, der Mittelteil war ungefähr neun Meter hoch.
Hinter dem Bauwerk erstreckte sich ein kleiner Gartenbereich, in dem der Hofgärtner Sennholz im Jahr 1798 zehn der in Weißenstein früher in großer Zahl vorhandenen Tulpenbäume zählte.

Als Vorbild für die Kasseler Moschee ist schon lange diejenige in Kew Gardens in London bekannt. Sie war dort um 1760 von dem königlichen Hofarchitekten William Chambers zusammen mit vielen anderen exotischen Bauten, darunter der noch heute erhaltenen großen Pagode, erbaut worden. Durch eine von König Georg III. finanzierte aufwändige Stichpublikation (1763) wurden die Kew Gardens schnell in ganz Europa bekannt und als Inspirationsquelle bevorzugt in fürstlichen Gartenanlagen genutzt. Der hessische Landgraf, durch seine Ehe mit der englischen Prinzessin Maria mit dem Königshaus verbunden, war durch Aufenthalte auf der Insel über die dortigen Entwicklungen in der Gartenkunst bestens informiert und so verwundert es nicht, dass im Park Weißenstein die von Chambers propagierten vielfältigen und abwechslungsreichen Stimmungsbilder nach chinesischem Vorbild Einzug hielten. Wie auch das Gartenreich in Wörlitz gehörte der Kasseler Park bald zu den prominenten Beispielen der „anglo-chinesischen“ Gärten auf dem Kontinent.

Blick von der Moschee zum Weißensteinflügel. Simulation: Friedrich Forssman

Wie so viele der kleinen Staffagebauten aus der Zeit Friedrichs II. war zumindestens ein Teil der Moschee offenbar in leichter und schadensanfälliger Holzbauweise errichtet worden. Schon nach etwa 15 Jahren verschwanden die Minarette, wodurch sich Erscheinungsbild und Charakter des Gebäudes veränderten; der Name Moschee wurde jedoch weiter beibehalten. Zu einem bisher nicht bekannten Zeitpunkt, wahrscheinlich Ende der 1820er Jahre, wurde der Bau dann gänzlich beseitigt. Das Plateau mit dem ehemaligen Standort unterhalb der früheren Fasanerie ist auf dem Weg von der Pagode, vorbei am Schwanenhaus und dann in Richtung Tal der Flora abbiegend, noch im Gelände sichtbar.
Trotz der Bezeichnung als Moschee war diese, ebenso wie die Pagode im chinesischen Dorf Moulang, zu keinem Zeitpunkt ein der Religionsausübung gewidmeter Ort. Schon der Blick in das Journal der Kabinettskasse des Landgrafen lässt die alleinige Nutzung durch den Hof erkennen – 1784 ist dort vermerkt: „complette neue Meuble von Linnen Pequin mit allem Zubehör, in die Moschée zu Weißenstein.“ Die äußerst beträchtliche Summe von 448 Reichstalern für die hochwertige Ausstattung der Räume lässt die Wertschätzung des Gebäudes durch die höfische Gesellschaft erkennen. Doch sollte auch nicht übersehen werden, dass mit der Erbauung der Moschee ein wesentliches programmatisches Anliegen sichtbar zum Ausdruck gebracht werden sollte – die aufklärerisch inspirierte Toleranzidee des 18. Jahrhunderts, allen bestehenden Religionen ein gleichwertiges Existenzrecht, Respekt und Achtung zuzubilligen. (Text: Gerd Fenner)

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